Christian Lohse kocht sich im neuen Gault Millau in die Weltspitze, Daniel Achilles ist deutsche „Entdeckung des Jahres“
„Besser, subtiler, ideenreicher und mit geschmackvolleren Produkten kocht niemand in Berlin“, lobt die französische Gourmet-Bibel Gault Millau in ihrer jetzt erscheinenden Deutschlandausgabe 2010 den 42-jährigen Christian Lohse vom „Fischers Fritz“ in Mitte. „Sein Ideenreichtum führt meist nicht zu spektakulären Kombinationen, sondern die Gäste auf ganz subtile Weise zu unerwarteten Aha-Erlebnissen, wenn er beispielsweise Kartoffelwürfel in Hummerbouillon gart und sie neben ein doppeltes Rotbar-benfilet legt, das vom Service mit einer schwarzen Sauce aus Chipiron-Tintenfischen eingefriedet wird.“
Auch für Gerichte wie „Gänseleberterrine mit Havelaal, Pfefferkaramell und Auberginenpüree oder Desserts, in denen Rote Bete in verschiedenen Zubereitungsformen mit Basilikumsorbet, Schafsjoghurt und kandierten Haselnüssen zu optischer wie kulinarischer Extraklasse zusam-mengefügt werden“, bekommt Lohse vom Gault Millau, der nach dem französischen Schulnotensystem urteilt, erstmals 19 von 20 möglichen Punkten. Er führt damit eines der „weltbesten Restaurants“.
Platz 2 der kulinarischen Berliner Hitparade und seine 18 Punkte aus dem Vorjahr verteidigt souverän Tim Raue, 35, vom „Ma Tim Raue“ in Mitte. „Der hochbegabte Küchenchef“, attestieren die Kritiker, „scheint sein wildes Image langsam hinter sich zu lassen. Seine Gerichte wirken weniger provokant, das Schärfe-Säure-Süß-Spiel seiner chinesisch inspirierten Küche scheint uns subtiler und zugleich pointierter. Unverändert blieb die in Deutschland wohl einzigartige Produktauswahl und Aromenvielfalt.“
Auf 17 Punkte, die für „höchste Kreativität und bestmögliche Zubereitung” stehen, steigert sich Marco Müller, 39, von der „Rutz-Wein-Bar“ in Mitte„dessen Dreierlei vom Big Eye-Thunfisch mit Tomaten/Brot-Salat und einem köstlichen schwarzen Oliveneis die Vielfalt der Aromen perfekt ausspielte, ohne sie in an-strengende Konkurrenz treten zu lassen“. Die gleiche Note erhält Tim Raue erstmals für sein Zweitrestaurant „Uma“, in dem Küchenchef Steve Karlsch japanisch inspirierte Raue-Gerichte sehr sorgfältig zubereitet.
Ihre 17 Punkte aus dem Vorjahr erkochen sich wieder
• Michael Hoffmann vom „Margaux“ in Mitte, den man „in Hollywoods Welt der schönen Kreativen garantiert mit Lorbeerkränzen überschütten würde für seine exzentrischen Gemüsekreationen im neu angebotenen vegetarischen Menü. Doch im immer noch armen und rotzfrechen Berlin trifft er zuweilen auf Unverständnis und Ablehnung“,
• Michael Kempf vom „Facil“ im Tiergarten-Hotel „The Mandala“ für „außerge-wöhnliche Aromen-Balanceakte wie die Terrine von gebratener Gänseleber und Bottarga mit Kopfsalat-Emulsion und säuerlichen Karamansi-Geleewürfeln“,
• Kolja Kleeberg vom „Vau“ in Mitte, der „seine Inspirationen vor allem aus der italienischen und spanischen Tradition bezieht und beim Fleisch bis ins osteuropäische Repertoire greift“,
• Thomas Neeser vom „Lorenz Adlon“ für „herausragende Kompositionen wie die perfekte Taube im raffinierten giftgrünen Eisenkraut-Mantel mit bitteren Chicoreearomen und sanftfruchtigen Aprikosenwürfeln“,
• Karl Wannemacher, seit 17 Jahren am Herd vom „Alt-Luxemburg“ in Charlottenburg, für „seine leichte, persönliche Küche der kulinarischen Vernunft“.
15 Punkte, bei denen im Verständnis des Guides jene Küchenklasse beginnt, in der Kochen zur Kunst wird, erreichen Jörg Eichhofer von der „Spindel“ in Friedrichshagen, „der auf bemerkenswert moderne Art bodenständig berlinerisch kocht, hier und da französische und mediterrane Ideen einstreut“, Marcus Zimmer vom „Guy“ in Mitte, der „phantasievoll Schweinerücken mit Pfefferpflaumen, Sellerie, Kartoffelterrine und Liebstöckeljus kombiniert“, und Sauli Kemppainen als neuer Chef in der „Quadriga“ in Charlottenburg, der „auf eine extrem aufwendige, kleinteilige Wickel-, Pürier- und Füllküche setzt, die handwerklich top ist“.
Als seine „Entdeckung des Jahres“ in Deutschland ehrt der Guide Daniel Achil-les, 33, vom „Reinstoff“ in Mitte, das im März 2009 eröffnete. Er machte sich „auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise selbständig und fiel rasch mit Ideenreichtum, handwerklicher Sicherheit sowie allerhand Tricks der Avantgarde-Küche auf, die aber nie nerven. Ganz klassisch ist die Kombination von gebratener Gänseleber und Gänseleberterrine mit marinierten Teltower Rübchen und Quitte, sehr modisch die gebratene Gamba auf Hühnerfondnudeln mit Yuzu-Schaum“.
Eins auf die Kochmütze bekommen Matthias Buchholz vom „First Floor“ in Charlottenburg und Thomas Kammeier vom „Hugos“ in Tiergarten, die von 18 auf 17 Punkte abgewertet werden, sowie Andrea Girau vom „Ana e Bruno“ in Charlottenburg, der auf 16 Punkte sinkt. Bei Buchholz beklagen die Tester, dass „der Warenkatalog exzellenter Produkte zuletzt unorigineller denn je wirkte und sich die Küche auf eine seltsam ausgezehrte neomediterrane Stilistik beschränkte, die sich in kleinteiligen Inszenierungen und ‚Variationen’ verlor“. In Kammeiers Küche konstatieren die Tester „eine deutliche Ermüdung. Sie schlug sich nicht in Handwerk oder Produktqualität nieder, denn er lässt garantiert nichts anbrennen, was die Basis seines Geschäfts angeht. Aber wo ist der alte Esprit, wo sind die neuen Ideen?“ Und bei Andrea Girau mosern die Kritiker über merklich schwankendes kulinarische Niveau und zähe Wartezeiten“.
Die Tester beschreiben und bewerten dieses Jahr insgesamt 47 Restaurants in Berlin. 39 Küchenchefs zeichnen sie mit einer oder mehreren Kochmützen aus, wofür die Könner am Herd mindestens 13 von 20 möglichen Punkten erreichen müssen, was einem Michelin-Stern nahe kommt. Das schaffen unter den neu eröffneten Restaurants das „Wegner“ in Charlottenburg mit 14 und die „Traube“ in Mitte mit 13 Punkten.
Im Vergleich zur Vorjahrsausgabe serviert der wegen seiner strengen Urteile und deren zuweilen sarkastischer Begründung von den Köchen gefürchtete, von den Gourmets mit Spannung erwartete Gault Millau in Berlin 12 langweilig ge-wordene Restaurants ab und nimmt 7 inspirierte Küchen neu auf; je 9 werden höher oder niedriger bewertet.
Die 25 besten Restaurants des Gault Millau in Berlin
19 Punkte:
1. Fischers Fritz* in Mitte,
18 Punkte:
2. Ma Tim Raue in Mitte,
17 Punkte:
3. Alt-Luxemburg in Charlottenburg,
Facil im Tiergarten,
First Floor*** in Charlottenburg,
Hugos*** in Tiergarten,
Lorenz Adlon in Mitte,
Margaux in Mitte,
Uma in Mitte,
Rutz-Wein-Bar* in Mitte,
Vau in Mitte,
16 Punkte:
12. Ana e Bruno*** in Charlottenburg,
Carmens Restaurant in Eichwalde bei Berlin,
Gabriele in Mitte,
Reinstoff** in Mitte,
15 Punkte:
16. Berlin-St. Moritz in Schöneberg,
Bieberbau in Wilmersdorf,
Die Quadriga in Charlottenburg,
Frühsammer in Grunewald,
Guy* in Mitte,
Horváth in Kreuzberg,
Le Cochon Bourgeois in Kreuzberg,
Lochner in Tiergarten,
Maremoto in Friedrichshain,
Spindel* in Friedrichshagen.
*Aufsteiger **Newcomer ***Absteiger
Pressetext via Gault Millau.