Gin hat in den letzten Jahren einen Wandel durchlebt, den wohl nur wenige Spirituosen in diesem Ausmaß erleben durften. Allein auf dem deutschen Markt tummeln sich mittlerweile so viele Hersteller, dass der Feinschmecker streckenweise durchaus den Überblick verlieren kann. Für jeden Geschmack gibt es einen bestimmten Gin, das mag man der Vielfalt halber gut finden – oder auch nicht.
Beobachtet man den Markt, so bleibt nicht unentdeckt, dass viele Brands nach einigen Monaten einfach auch wieder verschwinden, weil die Sättigung des Marktes schlichtweg erreicht ist. Fancy Packaging genügt längst nicht mehr, um den geneigten Connaisseur zu begeistern. Ja gar Instagrammer haben sich mit dem Thema Gin auseinandergesetzt und es gibt sehr feine Accounts.
Aber ich möchte jetzt nicht abdriften, schließlich geht es heute um sehr traditionelle Gins, nämlich jene der Familie Hayman aus London, die ich in den vergangenen Monaten porträtieren durfte und deren Gin eine besondere Geschichte erzählt.
Die Destillerie ist in Balham in London angesiedelt und produziert alle Ihre Gins dort. Der Firmensitz ist in einem kleinen Industriegebiet gelegen, ein Mix aus Wohnsiedlung & Industrie vielmehr. In den Farben weiß-blau gehalten, ist das „Hayman`s“ Hauptquartier nicht zu verfehlen. Wer es nicht findet, fragt in der Nachbarschaft nach – sie sind durchaus beliebt dort. Ein wirklich schönes und elegantes Markenlogo ziert den Firmensitz, der von innen eher mit einem eleganten Wohnzimmer – plus Brennerei – (und Bar) zu vergleichen ist.
Hayman`s of London – 150 Jahre Wissen & Tradition
Das interessierte Kunden hier willkommen sind, merkt man sofort. Links nach dem Eingang findet sich eine großzügige Lobby, stilvoll und flauschig eingerichtet, mittig in der Halle die glänzenden drei kupfernen Destillier-Anlagen, rechts ein Labor, oben eine Bar. Alles duftet nach Orangenschalen, Wacholder, ja irgendwie schon nach Gin. Arbeit und Genuss verbinden sich hier fließend, habe ich den Eindruck.
Christopher Hayman, der Senior der Familie empfängt uns und erzählt sofort begeistert von „Majorie, Karin und Miranda“, die schon unterschiedlichen Alters sind, verschiedene Rundungen und Volumen aufweisen, aber alle den graziösen, kupferpolierten britischen „Gin-Charm“ haben. Brennen ist seine Leidenschaft, das merkt man sofort. Wer sonst würde seine Kupferkessel nach den Damen des Hauses benennen.
James und Miranda hingegen leiten das operative Geschäft, Lee Fisher die Sales auf dem internationalen Parkett. Dass der Mann die flüssigen Produkte geschwind verkaufen kann, liegt förmlich auf der Hand. Denn einmal verkostet in beschwingter Laune, lässt sich Qualität recht schnell an den Gourmet, die Bar oder den Supermarkt bringen. So Gin schwelgend abgelenkt, beginnen wir nun auch mit den Verkostung-Notizen…
„Hayman`s London Dry Gin“ – die britische Eleganz
Mit dem London Dry Gin bietet die Marke Hayman’s einen absolut klassischen Gin an. Die Grundzutaten sind wie bei den meisten Gins eben auch Wacholder, Koriander, Zitrone und Orangenzeste. Doch was unterscheidet den Hayman’s von anderen London Dry Gins? Ganz klar haben sich beim Tasting die würzigen Aromen von Muskat, Zimt und Kassienrinde hervorgetan. Ein Gin, der sich in vielen Cocktails wie dem Negroni von seiner besten Seite zeigt. Ein wirklich klassischer Gin, der sich so seit vielen Jahren am Markt behaupten kann und der auch solo mit einem guten Eiswürfel einfach ein Genuss ist. Der „Old Tom“ jedoch, der ist eine Spezialität, die ich so vorher noch nicht verkostet hatte.
„Hayman`s Old Tom Gin“ – herausragendes Bouquet
Sie suchen einen eher süßen Gin? Dann probieren Sie doch einmal den Hayman’s Old Tom Gin. Wie alle Old Tom Gins ist er leicht gesüßt. Diese Süße kombiniert sich wunderbar mit den verwendeten Botanicals. Neben der Wacholderbeere findet sich auch unvergleichliches Zitrus- und Anisaroma, dazu gesellen sich kräftige Anklänge von Gewürzen. Alles wunderbar rund und geschmeidig, ohne aufdringlich zu wirken. Historisch lässt sich festhalten, dass der Old Tom Gin im 19. Jahrhundert sehr beliebt war. Zurzeit erlebt er ein regelrechtes Revival, Sie sollten ihn unbedingt probieren! Mittlerweile ist er in jeder guten Bar der Welt wiederzufinden. Eine besonders gute Figur macht er in klassischen Cocktails wie dem Martinez oder dem Tom Collins.
„Hayman`s Sloe Gin“ – eine aromatische Köstlichkeit
Englischer Schlehengin darf auch bei Hayman`s nicht fehlen. Er entsteht traditionell durch die Anreicherung des Basisgins mit Schlehen, den ausgesuchten Früchten des Schlehdorns, die nach dem erstem Frost geerntet werden. Das Resultat ist ein ausgesprochen intensiv, fruchtiges Geschmackserlebnis und ein Gin von intensiv roter Farbe. Bei meiner Verkostung war er wirklich ein Erlebnis, ein mit frischen Schlehen mazerierter Gin-Likör, der als Solitär im Glas wirklich wundervoll ist und keine weiteren Zutaten, außer vielleicht einen Eiswürfel benötigt.
Über die Familie und ihre lange Brenner-Tradition
Seit 1863 fungieren fünf Generationen der Familie als Verwalter des „True English Gin“ Stils – eine ununterbrochene Linie, die auf den ursprünglichen Gin-Boom zurückgeht. In diesen 150 Jahren waren die Hayman`s stolz darauf, True English Gins zu destillieren, unter Verwendung von Familientechniken und -prozessen, die über Generationen weitergegeben wurden. Heute, in einer Zeit, in der sich die meisten Gin Produzenten auf das Neue konzentriert haben, setzt die Familie weiterhin auf den „True English Gin“ Style, der ursprünglich von den Vorfahren des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde, und schützt die klassisch ausgewogenen Stile, die das Herzstück der meisten klassischen Gin-Cocktails bilden.
Im Gegensatz zu anderen heute erhältlichen Gins wird die gesamte Palette an True English Gins so destilliert, wie sie es vor über 150 Jahren gewesen wäre – und zwar unter Verwendung der authentischen Rezepte und des traditionellen zweitägigen Prozesses, die den Kern der Herstellung des berühmt ausgewogenen englischen Gin-Stils bilden. Mir jedenfalls war es eine Freude das rege Engagement der einzelnen Familienmitglieder zu sehen, ob im Vertrieb, der Produktion oder aber im Umgang mit den neuen Medien.
Gin Herstellung hautnah, Master Class und Touren für Jedermann
Die Destille, die sich wie eingangs erwähnt etwas am Rand Londons befindet, ist mit der Metro bestens zu erreichen und so auch gut besuchbar. (Adresse siehe unten) Eine Tour, um zu erfahren, wie Gin im Allgemeinen hergestellt wird, ist eine ganz feine Sache, die ich jedem Interessierten ans Herz legen würde.
In wirklich toller Atmosphäre erfährt der Feinschmecker alles über die verwendeten Botanicals, über die Unterschiede in der Herstellung, den verwendeten Geräten und vieles mehr. Riechen, schmecken, testen, verstehen. Allein das Tasting ist es Wert, die Destillerie zu besuchen und unter fachkundiger Anleitung des charmanten Daryl Beare die feinen Nuancen der Gins zu erfahren. Wer es etwas ausgefallener mag, der bucht ganz einfach eine Stadtrundfahrt mit einem typischen roten Londoner Bus, umgebaut und natürlich gibt es dort feine Hayman`s Gin Cocktails.
Adresse und Kontakt:
- Hayman’s Distillery
- 8a Weir Road
- London
- SW12 0GT
- London Balham
Zu erreichen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln:
- 12 Gehminuten vom Bahnhof Balham (Nordlinie, Zone 3 Ober- und Untergrund)
- 15 Gehminuten vom Bahnhof Clapham Süd (Nordlinie, Zone 2 Untergrund)
Tipp: In der Nähe gibt es tolle Restaurants und Bistros, die ebenfalls einen Besuch rechtfertigen.
Bezug des Gins in Deutschland:
- Sierra Madre, gut sortierter Fachhandel
- Amazon und andere Onlinehändler.